The End of Print 2025
Als David Carson 1994 sein Buch »The End Of Print« vorgestellt hat, verfolgte er den modernen Gedanken einer aufkommenden medialen, vernetzten und digitalen Welt, die am Computer entstehen will und in welcher sich völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten eröffneten. Carson entfesselte die Typografie ebenso wie die Bildsprache und ließ die klassischen Drucksachen ebenso alt aussehen wie die Verfechter des nicht-computerisierten Designs. Print, wie man es bis dahin kannte, war vorbei.
Carson hat damals die strenge Welt der Gestaltungsraster, der typografischen Grundlinienausrichtung und der reglementierten Bildsprache mit Scanner und Macintosh hinter sich gelassen und dabei eine bisher ungekannte, wilde, zügellos junge Ausdrucksform in die Printmedien gebracht, die weltweit Aufsehen erregte. Der junge Californier nutze dabei die bahnbrechende Technologie des Desktop Publishing für seinen spektakulären künstlerischen Ausdruck —was mit herkömmlichen Mitteln wie Fotosatz, Litho und selbst EBV schlicht unbezahlbar gewesen wäre.
Und was hat es nun mit »The End of Print 2025 «auf sich? Jedes Ende trägt einen Anfang in sich, wie bei Carson auch, und Drucksachen gibt es nach wie vor. Aber bestimmte Arten von Drucksachen verschwinden gerade, wie zum Beispiel die Weihnachtskarten. Dieses Jahr haben wir eine einzige erhalten. In 2023 haben wir zum letzten Mal eine echte Weihnachtskarte auf 350g/m² Karton drucken lassen, kouvertiert und per Post verschickt, so wie wir das die letzten 30 Jahre gemacht haben. Eine schöne Gewohnheit, aber in den letzten Jahren schon fast ein Anachronismus. In 2024 haben wir nun damit aufgehört und versenden nun die guten Wünsche zum Jahreswechsel per E-Mail. Schluß mit Drucksache.
Ähnlich ist es mit den Business-Karten, die zwar immer noch tonnenweise gedruckt werden, aber eigentlich nur noch ein Merkzettelchen sind, das seine ursprüngliche Bedeutung weitgehend verloren hat. QR Codes mit VCF Information geben den Kärtchen teilweise Sinn, Zweck und Funktion zurück, und schlagen so eine sinnstiftende Brücke in den digitalen Arbeitsalltag. Aber wer reicht noch seine Karte nach alter Väter Sitte? Eine klassische Visitenkarte transportierte nie Verfügbarkeit, sondern vor allem Bedeutsamkeit, ähnlich den Weihnachtskarten. Das hat sich geändert.
Kritiker haben Carson damals vorgeworfen, dass er das angebliche Ende der Druckkultur in einem Druckwerk verkündet hatte. Ein großes Missverständnis. Er meinte das Ende einer Druckkultur, wie man sie bis dahin kannte. Die Technologien ändern sich, analog dazu haben sich die Drucksachen verändert und weiter entwickelt. Digitaldruck ermöglicht Print-On-Demand in kleinen Auflagen, die Internetdrucker (drucken natürlich kein Internet:) nutzen das Netz für Auftragsabwicklung und Sammelbearbeitungen, wodurch sich das Preisniveau für Drucksachen stark nach unten verschoben hat. Was natürlich zur gefühlten Entwertung klassischer Drucksachen geführt hat, obwohl gleichzeitig das Papier immer teurer wurde.
Zwar bin ich für meinen Teil den Drucksachen klassischer Prägung noch immer zugetan, aber es ist, wie ich schon sagte, sicherlich auch eine alte Gewohnheit. Viel zentraler ist für uns heute das Internet, das sich in der letzten 15 Jahren zum Dreh- und Angelpunkt für Märkte, Kommunikation und Wissenstrasfer entwickelt hat. Dabei haben wir Carsons entfesselte Computergrafik in den ersten Flash-Tagen noch versucht zu imitieren, dann aber weit hinter uns gelassen. Heute leben und arbeiten wir mit einem Screendesign für Typografie, das so viel biederer und weniger aufregend ist als seine damaligen Ansätze als junger Gestalter.
Nun ja, Carson machte seine Kommunikation als Kunst, und nutzte dabei alle Freiheiten der Technologie. Wir entwickeln heute Templates für Content Management Systeme, machen damit Kommunkation, verkaufen und arbeiten damit. Gestalterisch zeigen wir dabei einen gewissen Internet-Pragmatismus, trotz aller innovativen Technologien. Letztlich bilden CSS Stylesheets auf Websites ähnliche Strukturen, Raster und Typografien für lineare Seitengestaltungen wie die Bleisatz-Technologie in der Vor-Carson-Zeit. Die Ergebnisse sind rein visuell gar nicht so weit auseinander – technologisch aber um so mehr.
Greifbar macht dies Erik Spiekermann in seiner Berliner Druckwerkstatt Hacking Gutenberg, wo er cooles Design und frische Typografie auf uralten Maschinen macht. Er sagt: »Wir sind weder Nostalgiker noch Bilderstürmer. Wir glauben an die Koexistenz aller Medien, ob digital oder analog. Beim Digitalen vermissen wir das Anfassen. Verstehen heißt begreifen, und genau das tut man in einer Buchdruckwerkstatt.«
Wollen wir dahin zurück? Nein, sicherlich nicht, denn Beispiele wie der Bitterfelder Silbersee (ab Mitte der 1930er Jahre zur Entsorgung der Abwässer aus der Agfa-Filmfabrik Wolfen genutzt) mahnen uns vor völlig veralteten Technologien, die ebenso gesundheits- wie umweltschädlich waren. Noch 1999 verarbeitete allein Kodak für Film und Filmpapier jährlich 30 Millionen Tonnen Rinderknochen. Schön, dass das vorbei ist. Die immer noch beliebten Effekte der Analogtechnik kann man mittlerweile ohne Gefahr für Leib und Leben digital in der Postproduktion von Bilddaten perfekt nachahmen.
Aber so ganz wollen wir die alten Ansätze dann doch nicht hinter uns lassen. Sonst würden wir vergessen, wo wir herkommen und gelernt haben – und wie grandios manche Kunst ist, egal wie alt sie ist. Überkommene Technologien und ihre lebensgefährlichen Nebenwirkungen hingegen dürfen wir getrost hinter uns lassen – sobald wir klüger geworden sind und auf Basis dieser Erkenntnisse etwas viel Besseres entwickelt haben.
So sind auch die all die ozon-geschwängerten Copyshops verschwunden, die in den 70er Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, als die Laserkopierer von Xerox SW-Kleinauflagendruck nebst Skalierungen möglich machten. Carson widmete ihnen in seinem Buch eine Doppelseite, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Auch ich habe mit Pritstift und Schere viel Zeit in solchen Läden verbracht, und auch das hatte gottlob irgendwann ein Ende.
Hinsichtlich der Gestaltung tut sich immer noch viel, aber das Rad wird absehbar wohl nicht neu erfunden. Stattdessen sind es vielmehr die vielen Detailverbesserungen in Benutzerführung, Wahrnehmbarkeit, inhaltlichen Strukturen, Metaebenen und Medieneinbettung, die in der Templatewüste des Immergleichen keimen, und mit der Kraft ihrer innewohnenden Qualität neue Oasen entstehen lassen. Weitab vom Print, wie wir es bisher kannten. Auf ein Neues! MF
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